von Enzo Schricker
Da sind die pickelgesichtigen Vinyl-Fans, ähnlich aussehend, wie wir damals, die sich neuerdings auf ähnlich fragwürdige Plattenspieler stürzen, wie wir das früher ebenfalls getan haben. Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Den Luxus allerdings, für einen solchen 300 Stutz auf den Ladentisch zu werfen, davon konnten wir allerdings nur träumen. Ein Drittel davon war das Höchste, was wir uns damals auch nur vorzustellen wagten.
Mein Einstieg: die Stereo(!)-Musiktruhe meiner Mutter. Diese stellten übrigens die Vorläufer moderner HiFi-Geräte dar. Diese Truhe aus den späten 50er-Jahren habe ich aus purer Dankbarkeit vor mehreren Entsorgungsvorgängen gerettet und bis heute aufbewahrt. Denn sie hat mir den Zugang zu den frühesten Stereo-LPs (!) möglich gemacht. Sie läuft übrigens heute noch. Ich sass am Boden und steckte meine Füsse unter ihr hindurch. Wenn diese die Rückwand berührten, erlebte ich eine optimale Stereobasis. So war das damals!
Die Worte "RIAA-Entzerrung", "Impedanz", "Kapazität" oder gar "Nachgiebigkeit des Nadelträgers" konnten wir damals nicht einmal korrekt aussprechen und uns natürlich auch nichts darunter vorstellen. Aber eben: auch "Zwerge haben klein angefangen" (Zitat von Werner Herzog). ALLE werdenden Fans müssen derart winzig in unser Hobby einsteigen.
Freilich gibt es den Massenkonsum, industrielle Grossproduktionen machen es möglich. Da sehe ich allerdings keinen Kulturbolschewismus, denn dieser sieht vielleicht schön aus, funktioniert aber nicht (das ist historisch belegt). Der Kapitalismus funktioniert jedoch ziemlich gut, einige mögen leider sagen.
Für die "Vinyl-Hunnen" möchte ich mich einsetzen, um Gnade und Nachsicht bitten. Um jene, die von einer gnadenlosen Pop-Industrie pausenlos zwangsernährt werden (man höre sich einmal versuchsweise in die 95% der Radiostationen hinein), wo zunehmend Plastination herrscht, was heissen mag, dass nicht nur äusserlich Alles immer massiver aus Plastik hergestellt wird, sondern auch innerlich.
Lernen: in unserem schönen Hobby besteht die Möglichkeit, nicht nur die technischen Aspekte zu erfassen, was durchaus Jahre in Anspruch nehmen kann, sondern auch die qualitativen. Was Musik überhaupt ist und was sie in uns zu bewirken imstande ist.